Ein Besuch in der Comunidade do Peixinhos – Olinda im Dezember 2015
Am Fluss Rio Beberibe (GPS: -8.019743, -34.874259), der die Städte Olinda und Recife trennt liegt die Comunidade do Peixinhos an an beiden Ufern des Flusses. Es ist nicht die einzige, nicht die größte und nicht die schlimmste im Raum Recife! Hinweis: Nutzt Wolfgang als Scout (Details siehe unten)!
Geschichte:
Früher war der Fluss Rio Beberibe klar und rein, die Leute kamen dort hin um zu baden, Wäsche zu waschen. Ein Bad im Rio Beberibe sollte das Leben verlängern. Die Menschen hier waren Fischer.
Mit dem Bau des Schlachthofes 1874 begann die Entstehung des Stadtteils Peixinhos. Die Arbeiter wohnten um den Schlachthof herum. Sie waren arme Leute und nicht sehr gebildet. Der Bau war im Jahr 1919 abgeschlossen. 1970 wurde der Schlachthof aufgegeben, für die Arbeiter interessierte sich keiner mehr.
Ein wichtiger Meilenstein ist 1957 die Eröffnung der chemischen Fabrik „Phosphorit Olinda S/A“ die der damahlige Präsident Juscelino Kubitschek einweihte. Seit dem Tag ist der Rio Beberibe eine chemische Kloake, der Sand am Ufer ist tief Schwarz und wie das Wasser riecht kann ich kaum beschreiben. Das er auch als Toilette benutzt wird merkt man nicht am Geruch! Ich habe dort einen Abfluss von Kühlwasser in den Rio Beberibe gesehen, der so stark nach Chemie roch dass ich kein Foto machen konnte da mir die Augen tränten.
Aktuell:
Der Stadtteil Peixinhos ist 3 Quadratkilometer groß, 40000 Menschen leben dort, teils ohne Zugang zu Trinkwasser und sanitären Anlagen. Einmal die Woche kommt ein Tankwagen mit Trinkwasser. Ein Bewohner sagte mir: „Er lebe in einer vergessenen Welt!“ Die Probleme werden durch die unkoordinierte Raumbesetzung weiter verschärft. Auch für diese Hütten müssen die Leute Miete bezahlen aber eben an einen dubiosen „Eigentümer“. Sie haben einen Größe von 6 qm bis 15 qm, kein Wasser bzw. Abwasser und selten Strom der dann aber meistens aus etlichen Verteilern anderer Hütten kommt.
Wie immer in den Communidades (oder Favelas) sieht man auch in Rio, SP und anderswo Häuser mit Gitter-Tür und Auto davor. Hier wohnen Frisöre, Taxi Fahrer, Maurer etc. also normale Menschen – meist illegal, ohne Absicherung und ohne einen menschlichen „Mindeststandard“. Daneben aber wohnen die, die noch nicht mal das haben. Genau die habe ich hier mal besucht.
Es kommt immer wieder vor, dass in den Zeitungen die Verhaftung eines „Drogenbarons“ in der Comunidade dokumentiert wird. Dabei ist es meist die Polizei die diese Drogen dorthin bringt und die eigentlichen Drogenbosse wohnen an der Boa Viagem und waren nie dort in der Comunidade. Zumindest sieht es nach aussen so aus, als ob dort etwas getan wird und man schafft schöne Zeitungsartikel.
Leider verspricht auch die Regierung immer wieder Dinge die dann nicht eingehalten werden bzw. direkt ins Gegenteil verkehrt werden. Den Aufschrei der Menschen dort hört in Recife und Umgebung so gut wie keiner, weil sich viele nicht dafür interessieren. Es ist wahrlich eine vergessene Welt und so mancher Einwohner der Comunidade do Peixinhos wünscht sich die damalige Militärregierung zurück unter der es so nicht so schlimm war.
Meist hart arbeitende und ehrliche Menschen die 10-13 Stunden am Tag ihrer Arbeit nachgehen.! Viele dort leben aber auch vom Müll: Er wird in den anderen Bezirken von Recife gesammelt, dort hin gebracht mit Karren die die Menschen dort hin ziehen. Besucher Brasiliens (zum Beispiel Sao Paulo) kennen das Bild: Ein Mann zieht die Karre und die anderen beladen diese.
Dann wird der Müll sortiert und ein Teil dann in die Wertstoffhöfe gebracht für ein kleines Geld. Tja und der restliche verbleibende Müll wird in den Fluss geworfen oder auf einen Haufen getan und verbrannt. Alles was Tiere nicht fressen können wird auch verbrannt und manchmal auch abgeholt oder auch zum Bau als Fundament genutzt.
Für einen solchen großen Sack bekommen sie umgerechnet 3 Euro. Das teilen sich dann alle beteiligten.
Alle Bilder zeigen das alltägliche Geschehen in den kleinen Gassen dort. Viele der Menschen dort haben diesen Stadtteil noch nie im Leben verlassen und kennen Hochhäuser nur von Bildern. Glitzernde Metropolen sind diesen Menschen völlig unbekannt. Diebstähle gibts so gut wie gar nicht und wenn wird das intern geklärt!
Mit ein wenig Glück bekommen die Kinder eine rudimentäre Schulbildung wenn sie nicht arbeiten müssen.
Es kommt oft vor, dass die Mutter bei der Geburt des Kindes stirbt denn die Kinder kommen dort zur Welt, ohne medizinische Versorgung. Diese Kinder werden dann von anderen Familien aufgezogen.
Von allen Menschen dort bin ich sehr höflich und gastfreundlich empfangen worden. Auch wenn sie am Rand der Gesellschaft leben sind es doch nette und freundlichen Menschen. Es gab viele interessante und aufschlussreiche Gespräche dort. Einen Mann möchte ich besonders hervorheben: Sr. Severino, tricolor de coração ist 110 Jahre alt (er zeigte mir bereitwillig seine Geburtsurkunde), hat 25 Kinder von 4 Frauen und lebt seit seiner Geburt dort vor Ort. Versorgt wird er von seiner 4. Frau und er sagt, er würde dort niemals weggehen. Das ist seine Heimat!
Es gibt kleine und erfolgreiche Hilfsprojekt die meist von ehemaligen Bewohnern initiiert und getragen werden. Auch einige kulturelle Aktionen sind dort gestartet und es gibt einen Kulturstützpunkt. Eines der erfolgreichen sozialen Projekte davon betreibt Renato Titi (Trommeln gegen Drogen, Fussball etc.). Seine Mitstreiter haben auch extra für uns etwas vorbereitet. Mit ganz viel Hingabe kümmert er sich um seinen Geburtsort. Er lebt noch immer dort, allerdings ein paar Strassen weiter. Er ist für viele der Jugendlichen und der Erwachsenen dort Ansprechpartner bei Problemen und weiss immer Rat. Die Menschen vertrauen ihm!
Es bewegt sich einiges dennoch benötigen diese Projekte weiterhin Unterstützung da hier von staatlicher Seite nichts zu erwarten ist. Auch die Musikinstrumente oder die Bälle für den Fussballverein kommen rein aus spenden. Hier kann man wirklich produktiv helfen. Wer das möchte kann sich an Wolfgang Besche (siehe unten in der Danksagung) wenden. Der kümmert sich dann drum.
Für alle, die sich für Bilder und Geschichten von dort interessieren: schreibt mich an 🙂 ich hab einiges an Fotomaterial.
Update: Februar 2016 Ein Großbrand dort hat mehr als 600 Familien Obdachlos gemacht. Mühsam werden dort wohl neue Hütten aufgebaut.
Danksagung:
Ich möchte mich an dieser Stelle bei Wolfgang Besche (LINK zu Facebook, LINK zur Webseite) und Renato Titi (LINK) bedanken die das möglich gemacht haben. Renato stammt aus dieser Comunidade, ist hier aufgewachsen und Engagiert sich mit sozialen Projekten dort um die Situation weiter zu verbessern. Ohne ihn wäre hier einiges schlimmer!
Wolfgang lebt seit mehr als 25 Jahren in Recife, ein „Kenner“ der Szene, gut vernetzt und ein wundervoller Scout für alle die dort urlauben wollen. Zugleich ist er ein professioneller Fotograf und ist ein fester Bestandteil des Pernambuco Foto Clube (LINK).